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Halloween – Ein bisschen Grusel gefällig?

von | 23.10.2023

Schaufenster und Werbeprospekte voller billiger Hexen- und Vampirkostüme. Monsterförmiger Süßkram noch und nöcher, der sich in diesen Wochen in den Supermärkten zwischen den bereits vorhandenen Lebkuchen- und Spekulatiusvorräten stapelt. Gruselig.

Halloween? Wird hierzulande als kommerzieller Abklatsch einer amerikanischen Tradition oft nur müde belächelt. Wir müssen denen ja nicht jeden neumodischen Quatsch nachmachen.

Tatsächlich wurden viele moderne Halloween-Bräuche jenseits des großen Teichs geprägt bzw. verbreitet. Zuvor kamen diese Bräuche aber doch: aus Europa! Irische Einwanderer nämlich brachten sie im 19. Jahrhundert mit in die USA. Und in ihren Ursprüngen sind sie noch viel weiter in die europäische Vergangenheit zurückzuverfolgen, nämlich bis zum keltischen Fest Samhain, das schon vor gut 2000 Jahren gefeiert wurde. Eventuell sogar noch früher, nämlich noch bevor die Kelten vor 2500 Jahren überhaupt in Irland ankamen. Nicht wirklich neumodisch also. Und auch nicht wirklich amerikanisch.

In Irland wird Halloween noch immer groß gefeiert. Auf der Liste der Lieblingsfeste meiner Tochter steht Halloween sogar ein kleines bisschen über Weihnachten. Sie liebt es, sich gruselig zu verkleiden und auf der „Trick or Treat“-Tour in der Nachbarschaft ihren Beutel mit Süßigkeiten zu füllen.

Aber das ist lange noch nicht alles, was auf dem irischen Halloween-Programm steht: Natürlich werden Kürbisse ausgehöhlt oder auch angemalt, das Haus wird innen und außen in ein Gruselkabinett verwandelt (Echte Spinnweben erlaubt! Das ist mein persönlicher Lieblingsteil!), es werden Lagerfeuer entzündet und traditionelle Spiele gespielt – zum Beispiel das Apfeltauchen (apple bobbing), bei dem man versucht, mit dem Mund einen in einer Wasserschüssel schwimmenden Apfel herauszufischen. Und wem nicht schon von den Süßigkeiten schlecht ist, der wählt sich ein Stück vom „Barmbrack“, einem traditionellen irischen Kuchen, in den ein Ring eingebacken wurde; wer in seinem Kuchenstück den Ring erwischt (und nicht verschluckt), ist ein Glückspilz!

Und wozu oder warum? Die keltischen Vorfahren feierten in den ersten November-Tagen – und beginnend am Vorabend des Novembers – das Fest „Samhain“ (in etwa „Sah-uin“ ausgesprochen). Mit diesem Fest wurde der Sommer (das hellere Halbjahr) verabschiedet und der Winter (das dunklere Halbjahr) und gleichzeitig das keltische Neujahr eingeläutet. Samhain war eines der keltischen Jahreskreisfeste – ein Feuerfest – und reihte sich ein zwischen der Herbsttagesundnachtgleiche und der Wintersonnwende.

Feuer und Essen spielten bei diesem Fest eine große Rolle. Große Feuer auf Hügeln sollten das Sonnenlicht symbolisieren und reinigende Wirkung haben. Auch Schutz sollten diese Feuer sein, und es wurden Opfergaben hineingeworfen – Getreide und vermutlich Tierknochen – zu Ehren der Verstorbenen und der Wesen des Jenseits. Man glaubte nämlich, dass sich zu dieser Zeit die Tore zwischen Dies- und Jenseits öffneten, dass der Schleier zwischen der Welt der Lebenden und der Toten sehr dünn sei, und dass einem nicht nur die eigenen Ahnen, sondern auch allerlei übernatürliche Wesen und Feen begegnen konnten. Ein guter Grund, sich unter gruselig anmutenden Masken zu verstecken: Damit man nicht von einem dieser Wesen erkannt und mit zurück in deren Welt genommen wurde! Man verkleidete sich also selbst als böser Geist, um die echten bösen Geister zu erschrecken und zu verjagen.

Essen war zur Genüge vorhanden, denn die Früchte des Sommers und Herbsts waren geerntet und in den Vorratskammern eingelagert. Daran wollte man auch die verstorbenen Verwandten teilhaben lassen und ließ abends vor dem Herdfeuer etwas zu Essen stehen für den Fall, dass sie des Nachts vorbeikommen würden. Und weil die Ahnen selten etwas davon aßen, gab man das Essen am nächsten Tag an Bedürftige weiter.

Diese Bräuche entwickelten sich über die Jahrhunderte hinweg weiter. Um den Verstorbenen, die man bei sich willkommen heißen wollte, den Weg nach Hause zu leuchten, stellte man Kerzen ins Fenster. Um andererseits böse Geister zu vertreiben, wurden irgendwann auch Kerzen in ausgehöhlte, mit Augen und Mund versehene Steckrüben gestellt. Aus den ausgehöhlten Rüben wurden später in den USA die Kürbisgeister, die wir alle kennen. Und weil man nicht mehr nur böse Geister vertreiben, sondern aus Schelmerei auch seine abergläubischen Nachbarn erschrecken und an deren üppigem Essen teilhaben wollte, entwickelte sich das heutige „Trick or Treating“, also das von Haus zu Haus Gehen und um Leckereien Bitten (unter gleichzeitiger Androhung eines Streichs und in gruseliger Verkleidung). Auch Spiele wie das Apfeltauchen nehmen darin ihren Ursprung, denn Äpfel sind nicht nur Früchte des Herbsts, sondern in der nordischen Mythologie außerdem ein Symbol der Unsterblichkeit. Lange Zeit bastelten Kinder auch Ketten aus Kastanien oder Nussschalen zu Halloween, weil diese in Fülle vorhanden waren.
Feuer, Dunkel, Übersinnlichkeit, Neujahrsbeginn – damit einher ging schon zur Zeit der Kelten die Wahrsagerei zu Samhain. Es wurden um die Feuer nicht nur Geschichten der keltischen Mythologie erzählt, sondern eben auch die Zukunft gedeutet und Schicksale vorhergesagt. Davon zeugt heute noch der Barmbrack-Kuchen mit dem eingebackenen Ring. Wobei dieser Ring in der Vergangenheit nicht einfach nur „Glück“ bedeutete, sondern eine bevorstehende Hochzeit ankündigte. Außerdem fanden sich in jüngerer Vergangenheit noch allerlei andere zukunftsdeutende Gegenstände im Kuchen: unter anderem eine Münze, die für Reichtum stand; ein Knopf, mit dem man für immer unverheiratet bleiben würde; oder ein kleiner Lumpen, der Armut vorhersagte.

Im Zuge der Christianisierung Irlands verschmolzen, wie auch bei anderen Jahresfesten, heidnische und christliche Bräuche miteinander. Die Kirche nutzte bereits bestehende Feierlichkeiten, um die Akzeptanz christlicher Feste in der Bevölkerung zu erhöhen bzw. in der Hoffnung, die heidnischen Bräuche durch christliche zu ersetzen. So wurde – anfänglich nur in Irland, dann im 9. Jahrhundert durch Papst Gregor IV. in der gesamten Westkirche – das bestehende Ehrenfest für Märtyrer und Heilige von Mai auf Anfang November verlegt. Seitdem feiern Katholiken am 1. November Allerheiligen. Auf Englisch All Saints’ oder auch All Hallows’ Day. Den irischen Samhain-Festivitäten konnte der Papst damit zwar nicht den Garaus machen – man wollte sich ja nicht den Spaß verderben lassen. Es entstanden so aber auch christliche Halloween-Rituale: Lange Zeit flocht man in Irland zu Halloween spezielle Kreuze, um so das Haus vor Unheil und bösen Geistern zu schützen. Vor allem aber entstand ein neuer Name für das Fest: Der Abend vor Allerheiligen, auf Englisch All Hallows’ Eve bzw. Evening. Aus Evening wurde „e’en“, aus beiden Wörtern zusammen Halloween.

Tadaa. Also doch nicht nur billige Hexen- und Vampirkostüme und monsterförmiger Süßkram, doch nicht nur amerikanischer Kommerz. Ob man, gerade in Deutschland, nun mitfeiern will oder nicht, das bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Aber so ein bisschen Bewusstsein für die eigentliche Bedeutung des Festes ist in jedem Fall erhellend. Seit Jahrtausenden symbolisiert es den Jahreskreis von Werden und Vergehen, zelebriert ein Bewusstsein für Tod und Dunkelheit genauso wie den trotzigen, schelmischen, ja humorvollen Umgang mit diesen Gegebenheiten. Und so ein bisschen Humor im Angesicht des Todes, so ein bisschen wohliges Gruseln können ja nicht schaden im Leben.