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Kulinarik und Dialektik der Bretagne – oder eben: Yec’hed mat!¹

von | 15.12.2022

Haben Sie Lust auf einen kleinen Ausflug in die Bretagne – sprachlich wie kulinarisch? Dann nehme ich Sie gern mit. Schließen Sie die Augen, befördern Sie sich gedanklich an die wunderschöne bretonische Küste, spüren Sie den kräftigen Küstenwind im Gesicht und die Vorfreude auf ein wunderbares bretonisches Abend-Menü im Bauch. Also, womit fangen wir an?

Wir wäre es mit einem Kir Breton als Aperitif (Cidre mit einem Schuss Johannisbeerlikör), gefolgt von ein paar gratinierten Austern und Jakobsmuscheln als Vorspeise. Und ein paar Informationen zu den bretonischen Dialekten und deren Verbreitung:

Während der Osten der Bretagne schon seit dem Mittelalter weitestgehend in französischer Hand war, wird Bretonisch heutzutage größtenteils noch im Westen, der sogenannten Niederbretagne, gesprochen. Das Bretonische unterteilt sich dabei in 4 Hauptdialekte, basierend auf den vier alten Kulturlandschaften Trégor, Léon, Cornouaille und Pays de Vannes: das Leoneg (im Nordwesten), das Kerneg (im Westen), das Tregerieg (im Norden) und das Gwenedeg (im Süden). Auf das heutige Gebiet der Bretagne bezogen, umfasst die Niederbretagne (Bretonisch: Breizh-Izel) übrigens das Département Finistère (Penn ar Bed, was so viel heißt wie „Kopf/Stirn der Welt“) und die westlichen Teile der Départements Côtes-d’Armor (Aodoù-an-Arvor) und Morbihan (Morbihan). Die Sprachgrenze verläuft dabei zwischen Saint-Brieuc im Norden und Vannes im Süden.

Quelle: Michael Pöschl: Bretonisch – Wort für Wort (Kauderwelsch Band 195), 2018, S. 13.

Innerhalb dieser Dialekte sticht der Dialekt von Vannes, das Gwenedeg, hervor, da er sich stark von den 3 anderen unterscheidet und teils sogar als eigene Sprache eingestuft wird. Daher wird für die Beschreibung des bretonischen Dialekts in der Regel eine Trennung vorgenommen – in die KLT-Dialekte (= Kerneveg, Leoneg und Tregerieg) und eben diesen Gwenedeg-Dialekt.

Innerhalb der KLT ist das Leoneg der Dialekt mit dem größten Ansehen. An ihm hat sich daher der im 20. Jahrhundert neu geschaffene Standard hinsichtlich Wortschatz, Grammatik und Aussprache, das sogenannte Neobretonisch, orientiert. Dieser Standard ist wohlbemerkt durch Akademiker geschaffen, es existiert hier also eine Kluft zwischen dem Bretonisch, das noch von Muttersprachlern gesprochen wird, und diesem neu entworfenen Standard, der häufig von Französisch-Muttersprachlern gelernt wird. Ziel des Ganzen war es, die sich teilweise stark unterscheidenden Dialekte zusammenzufassen, Lehnwörter aus dem Französischen zu beseitigen und generell auf Bretonisch verfasste Texte für die Sprecher aller 4 Dialekte lesbar zu machen, um so einen Beitrag zum Erhalt der Sprache zu leisten.

Inwieweit dieser Standard allerdings von den tatsächlichen Muttersprachlern akzeptiert wird, ist sehr fraglich, da es sich in der Regel um ältere Menschen handelt, die einem neuen und als künstlich geschaffen empfundenen Standard natürlich skeptisch gegenüberstehen.

Über die Herkunft des Bretonischen und die aktuelle Situation der Sprache mehr beim Hauptgang, urbretonisch wäre in diesem Fall ein Kig har farz („Fleisch und Fars (Mehl)“) – ein Eintopf mit gepökeltem Schweinefleisch und Gemüse –, oder, wenn Sie Fisch bevorzugen, der bretonische Fischtopf Cotriade.

Das Bretonische gehört zum keltischen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie, und innerhalb dieser Sprachfamilie zu den britannischen Sprachen. Es fand seinen Weg in das Gebiet der westlichen Bretagne ab dem 5. Jahrhundert infolge der Besiedlung durch Flüchtlinge und Einwanderer aus England und Wales und ist die einzige keltische Sprache, die außerhalb der britischen Inseln gesprochen wird. Wie bereits erwähnt, hat sich das Bretonische flächenmäßig nicht über die westliche Bretagne ausbreiten können. Zudem ergeht es der Sprache leider wie so vielen regionalen Sprachen – sie kämpft um ihr Bestehen. Seit der Angliederung an Frankreich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts musste sich das Bretonische starken Widerständen stellen, auch durch die zentralistische (Sprach-)Politik Frankreichs. So wurden zum Beispiel Schulkinder noch bis 1951 bestraft, wenn sie im Unterricht Bretonisch sprachen. Generell geht die Anzahl der Menschen, die Bretonisch aktiv sprechen können, von Generation zu Generation zurück. Zählungen haben ergeben, dass es um 1950 noch ca. 1 Million Menschen gab, die Bretonisch gesprochen haben, allerdings ist die Sprecherzahl bis zur Jahrtausendwende um fast 80% gesunken. 2007 ging man von einer Anzahl von knapp unter 200.000 Muttersprachlern aus (von insg. an die 3.354.000 Einwohnern). Gemäß dem UNESCO-Atlas der bedrohten Sprachen gilt das Bretonische mittlerweile als „ernsthaft gefährdete Sprache“; befürchtet wird daher, dass es, aufgrund des hohen Alters vieler Muttersprachler, in Zukunft zu den ausgestorbenen Sprachen gehören wird.

Gleichzeitig nehmen jedoch die Maßnahmen, regionalen Initiativen und Vereine zum Erhalt der bretonischen Sprache und Kultur zu. So wird Bretonisch mittlerweile als Wahlfach an Schulen und Universitäten angeboten, in sogenannten Diwan[2]-Schulen ist Bretonisch gar Unterrichtssprache, zudem wird die Zweisprachigkeit im öffentlichen Raum gepflegt, sei es durch zweisprachige Straßenschilder oder durch Beiträge im Radio und Fernsehen auf Bretonisch. Eine zentrale Rolle spielt hierbei natürlich auch der Wille der Jugend, die Sprache zu erlernen und weiterzugeben, um so den Bestand an Sprechern zu stabilisieren.

Und zum Dessert? Wie wäre es, um auch hier urbretonisch zu bleiben, mit Kougin amann („Kuchen Butter“) – ein Hefekuchen aus Douarnenez, oder Farz forn („Fars (Mehl) Ofen“ – frz. far breton) – einem Eierkuchen mit viel Weizenmehl, (natürlich) Butter und Zucker, der u.a. mit Äpfeln oder Rosinen verfeinert werden kann.

Dazu ein Schlusswort: Die Bretonen gelten als sehr stolzes Volk, daher werden sie alles Mögliche unternehmen, um den Fortbestand ihrer Sprache in irgendeiner Form zu sichern. Die bretonische Fahne Gwen ha du („Schwarz und weiß“), das zur Bretagne gehörende Triskell, ein keltisches Zeichen, das für ein unabhängiges Leben steht, und die zahlreichen gepflegten bretonischen Traditionen, wie u.a. traditionelle Feste und die köstliche Küche, tragen hoffentlich dazu bei, dass sämtliche Bemühungen zum Erhalt der Sprache beitragen!

Übrigens: Alternativ ist natürlich ein Besuch in einer der zahlreichen Crêperies zu empfehlen, wo zum Hauptgang ein deftiger Buchweizen-Galette (kaletez) serviert wird (garniert mit allerlei Leckereien, je nach Geschmack) und als Abschluss ein süßer Crêpe, dazu gibt es typischerweise Cidre (chistr). Galettes gehören in jedem Fall zum kulinarischen Selbstbewusstsein der Bretagne, sei es süß, salzig, in Stückchen geschnitten in der Suppe, als Beilage oder als Brot(ersatz). Ein absolutes Muss!

In diesem Sinne, Augen wieder auf, Ouzh taol[3]  und Devezh mat[4] !

[1] “Zum Wohl!“ – im Bretonischen wünscht man sich üblicherweise keinen guten Appetit, sondern stößt umso lieber auf die Gesundheit an!
[2] „Keim“. Ein Verein, der seit 1977 bemüht ist, Bretonisch-Unterricht an Kindergärten, Schulen und für Erwachsene zugänglich zu machen.
[3] [uß tòòl] – „Zu Tisch“
[4] [deeväs vaat] – „Einen schönen Tag noch!“


Quellen

Ya d’ar brezhoneg. Aktuelle Praxis und künftige Strategien zur Förderung der bretonischen Sprache — Wirtschaftsuniversität Wien (wu.ac.at) Y

Bretonische Sprache: Das keltische Erbe der Bretagne (la-bretonelle.de)

Michael Pöschl: Bretonisch – Wort für Wort (Kauderwelsch Band 195). Reise Know-How Verlag Rump GmbH, Bielefeld 2018.

Bretonische Sprache heute – ein Sprachkonflikt (bretagne-tip.de)