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What’s the craic?

von | 03.02.2022

Auf den Spuren der irischen Sprachkultur

Seit dem 1. Januar 2022 ist Irisch eine Amts- und Arbeitssprache der EU. Irisch? Spricht man nicht Englisch auf der grünen Insel? Ist das nicht das Gleiche?

Solche Fragen begegnen mir immer wieder – viele Menschen außerhalb Irlands wissen nicht, dass in Irland zwei Sprachen gesprochen werden: Englisch und Irisch. Irisch ist offiziell sogar die erste Landessprache und als solche in der irischen Verfassung verankert. Straßenschilder in Irland sind zweisprachig, offizielle Dokumente auch; wer eine Beamtenlaufbahn einschlagen will, muss des Irischen mächtig sein; es gibt rein irisch-sprachige Fernseh- und Radiosender, und Irisch ist genau wie Englisch ein Pflichtfach in der Schule.

Doch als Alltags- und Umgangssprache wird Irisch tatsächlich nur noch von ungefähr 100.000 Menschen in Irland gesprochen. Irisch ist also eine Minderheitensprache, und auch diese irisch sprechende Minderheit ist in der Regel zweisprachig aufgewachsen, also auch der englischen Sprache mächtig. Weshalb also die Erhebung der irischen Sprache zur EU-Amtssprache? Um Übersetzungen anzufertigen, die kaum einer lesen wird? Bürokratiemonster EU lässt grüßen?

Den Status der „Amtssprache“ hat Irisch eigentlich schon seit 2007 inne, doch aufgrund einer Ausnahmeregelung blieb die Übersetzung offizieller EU-Dokumente in die irische Sprache stark beschränkt – es gab einfach nicht genug Übersetzer, die das hätten erledigen können. Das hat man geändert: 2016 waren weniger als 60 irische Übersetzer und Linguisten in EU-Institutionen beschäftigt, heute sind es um die 170, und bald sollen noch einmal 30 dazu kommen.

Die irische Regierung sieht die Verwendung der irischen Sprache auf Amtsebene als ein wesentliches Element im Rahmen der Förderung der Sprache – andere Initiativen sind z.B. die Irish-Language-Roadshow Seó Bóthair/Gluaiseacht (Workshops mit Spielen, Diskussionen und weiteren Aktivitäten, alles auf Irisch natürlich) oder der von der EU organisierte Übersetzerwettbewerb ‘Aistritheoirí Óga’ für Schüler und Studenten ab 15 Jahren. Es geht immerhin darum, das Überleben der irischen Sprache zu sichern und zu verhindern, dass sie ganz und gar dem Englischen weicht. Das versteht man sicherlich noch etwas besser, wenn man einen kleinen Blick auf die Geschichte Irlands bzw. der irischen Sprache wirft.

Irisch gehört zum gälischen Zweig der keltischen Sprachen, genau wie das schottische Gälisch und Manx (die Sprache der Isle of Man) – diese Sprachen sind also eng miteinander verwandt und sich auch heute noch so ähnlich, dass ein Schotte und ein Ire sich über einfache Themen durchaus miteinander austauschen können, ohne in die Sprache des Gesprächspartners wechseln zu müssen. Andere keltische Sprachen sind Bretonisch, Walisisch und Kornisch, die aber zum Zweig der britannischen Sprachen zählen und sich von den Gälischen Sprachen doch stark unterscheiden.

Im 5. Jahrhundert hatte sich Irisch-Gälisch als Hauptsprache der irischen Insel etabliert. Doch schon im späten 12. Jahrhundert führte die anglonormannische Eroberung Irlands zu einer Verbreitung der alten englischen Sprache. Zwar kam es in den nachfolgenden Jahrhunderten zu einem Wiedererstarken der gälischen Gesellschaft, ihrer Strukturen und somit auch der irischen Sprache. Doch im 16. und 17. Jahrhundert wurde die britische Vorherrschaft wieder gefestigt, mehr und mehr englische Muttersprachler wanderten ein, die Strukturen der irischen Gesellschaft, die irische Kultur und die Verwendung der irischen Sprache wurden mehr und mehr unterdrückt. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die ohnehin schon reduzierte irisch-sprachige Bevölkerung noch einmal sehr viel kleiner, denn die große Hungersnot 1845-1849 führte zum Tod oder zur Auswanderung eines Großteils v.a. der ärmeren Landbevölkerung, die wiederum einen Großteil der irisch-sprachigen Bevölkerung ausmachte. Mitte des 19. Jahrhunderts war Englisch dann die mehrheitlich gesprochene Sprache in Irland – und ist es bis heute geblieben.

Wenn es auch ein „irisches Englisch“ ist – Hiberno-Englisch nennt man das in Fachkreisen, und wer schon einmal durch Irland gereist ist, hat vielleicht bemerkt, dass unser Schulenglisch einen nicht immer weiterbringt auf der grünen Insel. Denn die Jahrhunderte lange Koexistenz der beiden Sprachen hat selbstverständlich ihre Spuren hinterlassen. So gibt es nicht nur im Irischen Wörter englischen Ursprungs (z.B.“fón“ von „phone“). Es existieren auch Wörter, deren Etymologie nicht mehr eindeutig bestimmbar ist, weil sie sozusagen zwischen den beiden Sprachen hin- und hergereicht wurden, wie z.B. „crack“ (im Englischen ursprünglich „Neuigkeiten, Gespräch“) bzw. „craic“ (Vergnügen, Unterhaltung, Spaß). Der Gebrauch dieses kleinen Wörtchens ist allerdings auf der grünen Insel so verbreitet und eigen, dass viele meinen, es ist ein uririsches Wörtchen. „Good music and craic“ steht z.B. oft an den bunten Pubfronten als Hinweis darauf, dass innen drin viel „Spaß und Vergnügen“ zu haben ist – Vergnügen auf die irische Art mit netter Gesellschaft, guten Gesprächen, Witzen, Gelächter, Musik und natürlich ein paar Bierchen. Die in Irland zur Begrüßung übliche Frage „What’s the craic?“ ist außerdem ein kumpelhaftes Äquivalent zum „How are you?“.

Vor allem aber ist das Englisch, das auf der grünen Insel gesprochen wird, geprägt von Wörtern und Ausdrucksweisen, die man so nur dort hört, weil sie direkt aus dem Irischen stammen. Beim Prosten mit besagten Bierchen in besagtem Pub sagt man in Irland meist nicht etwa „Cheers!“, sondern „Sláinte!“ (irisch für „Gute Gesundheit!“). Und sogar die irische Syntax hat sich teilweise in englischen Ausdrucksweisen durchgesetzt: Sätze wie „I’m after having my dinner“ („I’ve just had my dinner“ – „Ich habe gerade gegessen.“) oder „He came in and I writing my letter“ („He came in when I was writing my letter.“ – „Er trat ein, als ich gerade meinen Brief schrieb.“) basieren auf irischer Grammatik und Syntax und sind so in keinem anderen englischsprachigen Land zu hören. Genauso sagt man in Irland eher, dass man eine Sprache „hat“ als dass man sie „spricht“ – wieder eine Anlehnung an das irische „Tá Fraincis agam.“ („Ich habe Französisch.“).

Die beiden Sprachen beeinflussen und bereichern sich also bis heute gegenseitig, aber Englisch sitzt dabei weiterhin am längeren Hebel, auch wenn es heute nicht mehr „von oben“ auferlegt wird. Englisch ist eben eine Weltsprache und als solche „praktischer“ – die Welt steht einem offen, und Iren reisen viel und wandern oft aus (Ersteres auf der Suche nach Sonne, Letzteres auf der Suche nach Arbeit oder Abenteuer).

Aber geschichtlich gesehen ist Englisch die mehr oder weniger gewaltsam auferlegte Sprache der britischen Eroberer, Irisch hingegen die ursprünglichere Sprache der Insulaner. Und obwohl die Mehrheit der Bevölkerung diese Sprache nicht mehr aktiv spricht, so hat sie doch einen symbolischen Stellenwert als kulturelles Vehikel, als Verbindung mit der eigenen kulturellen Identität, dem eigenen kulturellen Erbe. Und so gibt es nicht nur die Initiativen zur Förderung der irischen Sprache „von oben“, sondern auch Menschen, die sich in Eigeninitiative bewusst „ihrer“ Sprache wieder mehr zuwenden wollen: Erwachsene, die als Kinder in der Schule in Irisch nicht aufgepasst haben und die Sprache nun aus eigenem Antrieb heraus wieder erlernen; Familien, die ihre Kinder zweisprachig erziehen, entweder indem sie Irisch zur Familiensprache machen oder indem sie ihre Kinder auf „Gaelscoils“ (rein irisch-sprachige Schulen) schicken; Irisch-Konversationsgruppen, die neu entstehen oder neuen Zulauf erfahren – und das alles geschieht vor allem auch in urbanen Gebieten und nicht nur in den traditionell irisch-sprachigen ländlichen Gegenden in Küstenregionen im Südwesten, Westen und Norden der Insel. Aber auch die dort angesiedelten irisch-sprachigen Gemeinden (irisch „Gaeltacht“) erfahren etwas frischen Wind, wenn Sprachinteressierte oder Auswanderer, die sich auf ihre irischen Wurzeln besinnen, dort im Sommer ein paar Wochen im Irisch-Sprachurlaub verbringen. In Zahlen mag sich diese Entwicklung vielleicht noch nicht so niederschlagen. Aber es scheint doch ein größeres Bewusstsein für die irische Sprache und ihre Bedeutung zu entstehen.

Sogar in Deutschland kann man Irisch-Gälisch nicht nur an ein paar ausgewählten Universitäten studieren (z.B. an der Uni Bonn oder der Uni Marburg, jeweils im Rahmen des Studiums der Keltologie). Sprachinteressierte und Irland-Liebhaber können auch an einigen Volkshochschulen Irisch-Kurse besuchen: unter anderem bieten aktuell die VHS Hamburg, Halle (Saale), Marburg und Olching (hier auch online) Irisch-Kurse an. Auch das Studienhaus für Keltische Sprachen und Kulturen (SKSK) hat ein vielfältiges Angebot an Präsenz- und Onlinekursen für die irische, aber auch andere keltische Sprachen und Themen.